Beachtung der Wechselwirkungen
Seit wenigen Jahren wird den Neben- und Wechselwirkungen während einer Medikamentenbehandlung zunehmende Beachtung geschenkt. Diese positive aktuelle Entwicklung wird u.a. gefördert durch zunehmendes Wissen über die Pharmakokinetik, insbesondere über das Cytochrom-Enzymsystem in der Leber.
Psychopharmaka erfordern wegen des besonderen Wirkorgans ein außergewöhnlich sensibles Vorgehen bei der Auswahl und bei der Kombination mit anderen Pharmaka. Dabei sind die pharmakodynamischen Wechselwirkungen möglicherweise noch wesentlich komplexer und schwerer abzuschätzen, als die pharmakokinetischen.
Im Psychopharmakaguide soll eine übersichtliche Darstellung der Medikamenten-Nebenwirkungen und gleichzeitig der Interaktionen eine Orientierungshilfe bieten und zur sicheren Anwendung der Medikamente beitragen.
Pharmakodynamische Interaktionen
Pharmakodynamische Interaktionen hängen vom Wirkmechanismus ab, z.B. von Rezeptorbindungsprofilen, therapeutisch beeinflussten Enzymen oder Transportmechanismen. Hierbei kann es sich z.B. um agonistische oder antagonistische Wirkungen an Dopaminrezeptoren, um eine Hemmung der Acetylcholinesterase, um eine Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle oder um andere Wirkungsweisen handeln.
Besonders zu beachten sind Wirkungen, die Vitalfunktionen wie Blutdruck oder Atmung betreffen. Neuerdings wird aber zunehmend auch schleichend gefährlichen Effekten wie Elektrolytstörungen und QT-Zeit-Verlängerungen mehr Beachtung geschenkt.
Pharmakokinetische Interaktionen
Pharmakokinetische Interaktionen betreffen die Resorption, die Verteilung, die Metabolisierung und die Ausscheidung. Die Veränderungen, die bei Zugabe eines weiteren Medikamentes auftreten, können in charakteristischer Weise verändert werden.
Beispielsweise können Antazida, Kaffee oder Milch die Resorption mancher Psychopharmaka relevant vermindern.
Sehr variabel ist auch die Metabolisierung von Pharmaka durch die Cytochrom-P450-Isoenzyme in der Leber.
Enzymhemmung oder Enzyminduktion
Der Abbau eines Pharmakons kann gehemmt werden, wenn ein zweites Pharmakon mit enzymhemmenden Eigenschaften zusätzlich eingenommen wird. Hierdurch kann der Wirkspiegel des ursprünglichen Pharmakons oder beider zusammen ansteigen. Der Steady State eines wirksam eingestellten Medikaments kann schließlich ein zweites Mal beeinflusst werden, wenn das Begleitmedikament wieder weggelassen wird.
Eine Enzyminduktion dagegen entwickelt sich erst im Laufe einiger Tage und wirkt sich erst mit einer Latenz von etwa ein bis zwei Wochen aus. Dadurch sinken die Plasmaspiegel des Begleitmedikamentes und meistens auch des auslösenden Medikamentes. Nach dem Weglassen eines zur Enzyminduktion beitragenden Mittels wird diese nur langsam im Laufe von zwei bis vier Wochen wieder nachlassen. Danach kann sich also unter Umständen eine Intoxikation durch das Hauptmedikament schleichend entwickeln.
Pharmakogenetik
Zwischen sogenannten genetischen poor metabolizers und ultrarapid metabolizers können sehr große Unterschiede im enzymatischen Abbau der Pharmaka bestehen. Ein langsamer Metabolisierer kann unter Umständen mit sehr kleinen Medikamentendosen schon ausreichende Wirkungen und relevante Nebenwirkungen spüren, wogegen bei einem ultraschnellen Metabolisierer trotz zuverlässiger Medikamenteneinnahme vielleicht nur ein viel zu geringer Wirkstoffplasmaspiegel aufgebaut werden kann. Die Bezeichnungen werden von manchen Autoren mißverständlich ins Deutsche übersetzt, siehe Tabelle:
Englische Bezeichnung der Metabolisierungstypen | 2D6-Genvariationen | Häufigkeit | Mißverständliche deutsche Bezeichnung | Korrekte deutsche Bezeichnung |
---|---|---|---|---|
ultra-rapid metabolizer | drei Kopien des funktionellen Allels (Genduplikation) | 3% | schneller Metabolisierer | ultra-schneller Matabolisierer |
extensive metabolizer | zwei funktionelle Allele | 50% | normaler Metabolisierer | schneller Matabolisierer |
intermediate metabolizer | ein funktionelles und ein defektes Allel | 40% | Mischform von Normaltyp und Poor-Metabolizer | mittelschneller Matabolisierer |
poor metabolizer | kein funktionelles Allel, zwei defekte Allele | 7% | langsamer Metabolisierer | langsamer Matabolisierer |
CYP-2C9: 35% intermediäre und 2% langsame Metabolisierer.
CYP-2C19: 15% intermediäre und 4% langsame Metabolisierer (in der orientalischen Bevölkerung 18%).
CYP-2D6: siehe Tabelle oben.
CYP-1A2: Varianten können Auswirkungen auf die Induzierbarkeit haben.
CYP-3A4: Interindividuelle Variabilität, bisher ohne Nachweis eines genetischen Polymorphismus.
Therapiekontrolle
Genetische Untersuchungen können zur Identifizierung einiger Metabolisierungstypen eingesetzt werden.
Zur Therapiekontrolle, dem Therapeutischen Drug Monitoring, stehen Laborbestimmungen der üblichen Pharmaka-Plasmaspiegel zur Verfügung, die jedoch noch nicht so selbstverständlich wie in der Epilepsiebehandlung etabliert sind.
Wichtige Beispiele
Coffein und Kaffee, genauso Nikotin und Rauchen, wirken jeweils unterschiedlich auf die Metabilisierung der eingenommenen Medikamente, sie werden deshalb einzeln in der Wechselwirkungenliste aufgeführt.
Auch Gemüse wie Broccoli (Cytochrom-Enzymhemmung) oder Obst wie Grapefruit (Enzyminduktion) können die Pharmakokinetik der Psychopharmaka beeinflussen.
Der Genuß von Milch oder Milchgetränken oder eine Einnahme von Antazida können durch Verminderung der Resorption eines Pharmakons dessen Wirkspiegel beeinflussen.
Wenn unterschiedliche Schreibweisen einer Substanz möglich sind, wird im Psychopharmakaguide nur eine davon geführt. Beispielsweise wird Tetrahydrocannabinol, aber nicht Cannabis gelistet.